Ratsvorsitzende der Ev. Kirche Deutschland und Präses der Ev. Kirche von Westfalen, Annette Kurschus
Beim Namen nennen
Annette Kurschus: Das ist mein Name. Bei ihm werde ich gerufen. So heiße ich. Mehr noch: Das bin ich! Meine Eltern haben meinen Namen in Liebe für mich ausgesucht. An ihm habe ich gelernt, wer ich bin und wann ich gemeint bin. Ich weiß all die Nuancen, in denen man ihn aussprechen, flüstern, rufen, brüllen, seufzen kann, liebevoll, ärgerlich, ungeduldig ... Ich höre ihn in unzähligen Stimmen auf die unterschiedlichsten Weisen klingen. Mein Name: Ich trage ihn mein Leben lang und noch über mein Leben hinaus.
Wie unrecht hat Goethes Doktor Faust, der behauptet: „Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch.“ Kein Wunder, denn Faust hat schließlich einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Teuflisch ist es, dass abertausende Menschen, die bei ihrer Flucht umkommen, namenlos bleiben. Sie werden an Grenzzäunen getötet und ertrinken im Mittelmeer. Das Mittelmeer ist ein riesiger Friedhof. Die nassen Gräber haben keine Kreuze, keine Blumen, keine Gedenksteine. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn man für jeden Menschen, der an seinen Zukunftshoffnungen starb, eine Boje ins Wasser setzen würde, auf der sein Name stünde. Es wären seit 2014 mehr als 25.000: 25.000 Männer, Frauen, Kinder. 25.000 Lebensgeschichten. 25.000 Namen.
Gottes Name verbindet sich mit ihnen. Er erinnert an Menschen, die flüchten, ihnen ist er zuerst zugedacht und zugesagt. „Ich werde sein, der ich sein werde“ verrät Gott seinen Namen, als er sich dem Mose vorstellt und ihm den Auftrag gibt: Führe mein Volk heraus aus dem Sklavenhaus Ägypten. So beginnt das Buch Exodus, das Buch vom großen Auszug ins Gelobte Land. Gottes Name ist ein Versprechen, das sein göttliches Wesen beschreibt: Ich bin da und werde für euch da sein. Ich lasse euch nicht im Stich. „Im Namen Gottes“: Es ist keine Floskel, wenn wir unsere Gottesdienste so beginnen. Es sind Worte, aus denen Taten werden. Zum Beispiel die Aktion „Beim Namen nennen“.
Es ist mir eine Ehre, Schirmherrin dieser Initiative zu sein. Sie macht darauf aufmerksam: Jeder einzelne der vielen Toten ist ein unverwechselbarer, einmaliger Mensch, von seinen Eltern beweint, von seinen Kindern vermisst, von seinen Lieben geliebt. Auch wenn die vielen Menschen geflüchtet sind – sie sind nicht flüchtig wie Schall und Rauch. Sie sind keine Nummern. Sie haben in Ewigkeit einen Namen. Jeder Name, der gelesen wird, ist ein Protest gegen ihren bitteren Tod.